Schlagwort: Bordeaux
Geschützt: Premiers pas à l'Ecole Hôtelière de Paslosanne
To brie or not to brie – Abenteuer in Bordeaux Teil III
Kommentar von heute (2015): Das ist meine Lieblingsmail bisher… Sie ist derart bekloppt, aber genial, weil tatsächlich wahr… da denke ich jeweils: Das kann wirklich nur mir passieren…
Ménage à trois – Malatroi(s)te
Salut mes poulets!
Nur so zur Info gleich am Anfang: Wer sich beim Titel dieser Mail schon auf eine schlüpfrige Bettgeschichte gefreut hat, den muss ich leider enttäuschen. (Wie ihr auf den Gedanken kommen konntet, dass ich sowas erleben, geschweige denn in aller Öffentlichkeit breittreten würde, ist mir ohnehin unerklärlich!) Aber wie der Titel schon sagt und vielleicht dem einen oder anderen, der mit mir das Gymnasium abgeschlossen hat, in Erinnerung rufen mag: Ich habe wieder mal meine Unterwäsche verloren (ganz offensichtlich habe ich eine Begabung dafür). Aber ihr müsst jetzt nicht weinen, es gibt nämlich ein Happy End, wo ich sie wieder finde und wir glücklich und frei zusammen in den Sonnenuntergang reiten! Darüber hinaus erfahrt ihr, wie immer, mehr über mich, als ihr jemals wissen wolltet.
Ich habe ja jetzt ein Fitnessabo – und gehe auch ganz fleissig, solange ich noch nicht mit Lernen und Trinken beschäftigt bin. Bekannterweise schwitze ich bereits bei geringen körperlichen Anstrengungen wie Sitzen oder Stehen wie eine Sau. Wenn man den Schweiss, den ich bei Aktivitäten, die man dann vielleicht langsam als Sport bezeichnen könnte, verliere, ins Meer giessen würde, könnte man vermutlich die Niederlanden fluten. Meine Kleider sind dann jeweils auch nicht feucht sondern klitschnass. So richtig gruuuusig. Darum hänge ich sie immer an der Wäscheleine auf, die unter meinem Fenster angebracht ist, bevor ich sie dann in den Wäschekorb (vielmehr ein Plastiksack der zu dieser Position aufgestiegen ist) werfe (natürlich nicht ohne sie vorher ordentlich mit Billig-Febreze zu besprühen).
Waschen ist so ne Sache für sich. Sogar ich wusste, dass sich Wäsche ganz schnell verfärbt, wenn man sie nicht sorgfältig trennt. Geholfen hat es trotzdem nichts und ich bin jetzt im Besitz mehrerer rosafarbener Leintücher und einer immer noch leuchtend roten Socke… Da ich eine solche Unordnung in meinem Zimmer habe, weiss ich ausserdem nie, welche Kleider jetzt noch sauber, bereits ‹angetragen› oder nun wirklich dreckig sind. Es gibt immer mehrere Stapel, aber da ich die Ordnung nie einhalte, türmen sich alle mögliche Wäschestadien über- und durcheinander. Aus diesem Dilemma heraus habe ich den (vermutlich bei Studenten bereits allgemein bekannten und regelmässig praktizierten) Schnüffeltest entwickelt. Ich rieche mich durch meine Kleider durch und stelle mir bei jedem Stück die Frage, ob ich das jetzt noch anziehen kann (immer mit dem Bild von mir im Kopf, wie das wohl von aussen aussehen muss, wenn ich mich durch mehrere Stapel Kleider arbeite. Grenouille lässt grüssen.) Ob Eltern das mit ihrem Kind auch so machen, wenn es im Windelalter ist? „Hey, das ist ja noch ganz frisch!“ oder „Najaaaa – sprühst halt ein bisschen Parfüm drauf, dann merkt das niemand.“ „Um Himmels Willen, wie lange liegt das schon da! Das muss sofort in die chemische Reinigung!“ „Das wird nie mehr sauber, das kann man gleich wegwerfen!“ „Huch, das rosa Teil hat hat sich beim Waschen ja verfärbt! Ich dachte, das wäre farbfest, aber jetzt auf einmal blau!“ Naja, zugegeben: Tumblern würde ich den Kleinen dann doch nicht. Ich bin ja kein Sadist!a
Also auf jeden Fall war ich an jenem Tag im Fitnessstudio und meine Kleider dementsprechend verschwitzt. Comme d’habitude habe ich sie dann schön auf meiner Wäscheleine aufgehängt. Zumindest habe ich es versucht. Dummerweise ist mir dann die Unterhose, ein String-Tanga (warum ich den zum Sport anhatte lässt sich im Nachhinein auch nicht mehr rekonstruieren) und eine Socke runtergefallen. Das ist so ein bisschen ungünstig, weil ich im zweiten Stock wohne und keinen Zugang zum ‹Innenhof› habe, der sowieso nur etwa einen Quadratmeter gross ist und dessen einzige Funktion darin zu bestehen scheint, dass die Leute ihre Wäsche irgendwo aufhängen können. Das war dann sogar mir ein bisschen peinlich und ich habe mir auch ernsthaft überlegt, ob ich noch etwas anderes runterwerfen sollte, damit die nicht denken, ich sei total bekloppt. (Ein total durchgeschwitzter String-Tanga. Warum hängt jemand einen dreckigen, verschwitzten Tanga an die Wäscheleine? Warum fliegt so’n Teil aus dem Fenster? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt!) Natürlich ist ein durchgeschwitzter Tanga, eine Socke und ein nach vanilleblüteduftendes rosafarbenes Leintuch auch nicht viel besser. Aber vielleicht hätte ich mit dem Leintuch den Rest verdecken können, und sie hätten dann meine Unterwäsche gar nicht erst bemerkt. Das Problem war dann aber, dass ich nicht besonders gut zielen kann und Leintuch-Werfen (nicht mal, wenn’s senkrecht ist) nicht zu meinen Stärken gehört. Ausserdem habe ich auch keine Leintücher übrig, deren Hauptaufgabe es ohnehin nicht ist, aus dem Fenster geworfen zu werden, um irgendwelche Klamotten, die ihre Besitzer beschämen, zu überdecken.
Eine andere Möglichkeit wäre natürlich gewesen, das Ganze einfach da unten zu lassen und so zu tun, als hätte es nichts mit mir zu tun. Aber ich habe schon zu viele Polizei- und Detektivfilme in meinem Leben gesehen und befürchtete, dass sie vielleicht dann eine DNA-Analyse machen und mich der allgemeinen Ruhestörung oder mutwilliger Umweltverschmutzung überführen könnten und das wollte ich lieber nicht riskieren.
Also musste ich wohl oder übel bei meinen Nachbarn (naja, eigentlich wohnen die ja unter mir. Es sind also nicht wirklich Nachbarn sondern Unterbarn – oder Untertanen, wie ich sie im Geheimen gerne nenne – aber der allgemein besseren Verständlichkeit halber, werde ich trotzdem von Nachbarn sprechen) vorbeigehen. Gerade fällt mir ein, dass die vorangehende Abschweifung jetzt mal wirklich überflüssig war. Nachbarn kommt ja wohl eher von ’nahe› als von ’neben› und auch wenn sie unter mir wohnen sind sie in der Nähe. Dabei hatte ich so eine Freude an meiner Unterbarn-Wortkreation! Tja, das Leben ist hart…
Ich sass also am Fenster, starrte meinen Tanga an, der mich in solche Verlegenheit brachte, und überlegte mir, wie ich das am besten anstellen sollte. Sogar in meinem Kopf klang ein Satz bescheuerter als der nächste. Kam hinzu, dass ich die Leute ja gar nicht kannte. Das ist ja mal ne tolle Art, seine Nachbarn kennenzulernen.
(toc toc)
Nachbar: Qui est là?*
Ich: Bonjour. Je suis votre nouvelle voisine.
N: Bonjour.
I: J’ai un problème. Est-ce que vous pourriez m’aider?
N: Peut-être. Qu’est-ce qu’il y a?
I: J’ai perdu mes sou-vêtements!
In den einschlägigen Filmen folgen jetzt meist die Szenen, bei denen die Eltern den chemisch gereinigten Kindern die Augen zuhalten werden.
* Non, ce n’est pas le rat!
Auch nach halbstündigem Nachdenken kam mir keine Version in den Sinn, in der „Es tut mir leid, aber ich habe meine Unterwäsche bei Ihnen im Innenhof verloren!“ nicht blöd klang. Da dachte ich mir, na gut, da musst Du jetzt halt durch. Vielleicht habe ich ja auch Glück, und sie haben es noch gar nicht bemerkt und ich kann mich ganz locker aus der Affäre stehlen. Ich bin also nach unten gegangen und habe an eine der beiden Türen geklopft, von denen ich dachte, dass die Bewohner vermutlich Zugang zum Innenhof hätten. Keine Antwort. Bei der zweiten Tür wurde ich dann zuerst gefragt, wer ich sei und nachdem ich mich als Nachbarin identifiziert hatte, wurde mir die Tür von einem kleinen Mädchen geöffnet, dass dann aber sofort anfing zu brüllen, als es mich sah. (Scheinbar ein Effekt, den ich automatisch auf Kleinkinder ausübe. Vielleicht spüren sie instinktiv, dass ich auch am liebsten schreien würde, wenn ich sie sehe.) Der Mama der Kleinen habe ich dann versucht zu erklären, dass mir etwas beim Waschen heruntergefallen sei. Sie meinte dann aber, sie habe keinen Zugang zum Innenhof. Zumindest denke ich, dass das mehr oder weniger der Verlauf unseres ‹Gespräches› war. Ich glaube weder ihr noch mein Französisch waren wirklich gut.
Am Abend sass ich wieder beim Fenster und schaute hinab, nur um festzustellen, dass meine Sachen immer noch genau dort lagen, wo sie heruntergefallen waren. Ich konnte mir aber nicht wirklich erklären, ob das ein gutes Zeichen (Noch niemand hat es entdeckt) oder ganz einfach der pure Ekel sowas anzufassen, darstellte. Am nächsten Tag klopfte ich dann erneut an die erste Tür, worauf wieder niemand öffnete. In den folgenden Tagen klopfte ich regelmässig an diese Tür. Es war nie jemand da. Es war beinahe schon eine liebgewonnene Marotte von mir geworden, jedes Mal, wenn ich an der Tür vorbeiging, anzuklopfen. Oft sogar, ohne überhaupt eine Antwort abzuwarten. Umso erstaunter (und ziemlich erschrocken) war ich dann, als auf einmal jemand öffnete. Da standen ein junger und etwas älterer Mann vor mir (die schlimmsten Albträume werden wahr). Ich war so verblüfft, dass mir tatsächlich jemand öffnete, dass ich erstmal einfach ein wenig vor mich hinstarrte, bis ich dann irgendwann ein «Je suis votre voisine. J’ai perdu quelque chose. Pardon.» vor mich hinmurmelte. «Je dois aller dans votre ‹jardin» (ich machte Gänsefüsschen mit meinen Händen, weil mir ja bekannt war, dass es kein Garten war, aber das Wort für Innenhof natürlich nicht parat hatte). Ich druckste mich an ihnen vorbei und schnappte mir meinen Tanga und zwei Socken (eine war ihrem Zustand nach zu urteilen schon länger da – ohne dass ich es jemals bemerkt hätte). Ich lächelte ein wenig und bekam gerade noch mit, dass hier eingezogen wurde. Aber vor allem war ich damit beschäftigt, mit meinen Händen meine Unterwäsche zu verbergen, bevor ich mich wieder in meine Wohnung flüchtete.
Im Nachhinein war mir das Ganze dann gleich doppelt peinlich. Erstens wegen der Unterwäsche und zweitens, weil ich so unhöflich gewesen war. Mir gingen wahre Horrorvisionen meiner selbst durch den Kopf, die sich vermutlich nicht wirklich so abgespielt hatten, aber die Vorstellung davor reichte aus, mir ein schlechtes Gewissen zu machen.
N: Hallo!
I: Klappe! Gib meine Unterwäsche her! Dalli Dalli! Ciao!
Darum bin ich dann am nächsten Tag bewaffnet mit einer Tafel Schokolade noch einmal an der Tür vorbeigegangen, habe artig geklopft und mich nochmals entschuldigt und vorgestellt, wie das jeder normale Mensch wahrscheinlich auch gemacht hätte. Es hat sich dann herausgestellt, dass der junge Mann Jérémy heisst und bald sein erstes Semester an der Universität in Bordeaux bestreitet. Er wohnt allerdings alleine, der andere Mann, sein Vater, hatte ihm nur beim Umziehen geholfen. Also habe ich jetzt einen ‹kleinen Freund› oder frei (und falsch) übersetzt: ‹petit ami›! Auch wenn er natürlich nicht wirklich kleiner ist als ich (ist bei meiner Grösse (Kleine?) ja auch schwierig) und sich eher auf sein Alter (süsse 18) bezieht. Wir haben dann beschlossen am Abend, in das kleine Restaurant gleich nebenan zu gehen „aller boire un verre“.
„Aller boire un verre“ oder „manger un assiette“ ist hier sehr gebräuchlich. Der Ausdruck macht mir wieder mal Freude, weil man ja eigentlich weder ein Glas trinkt noch einen Teller verspeist, sondern eher was drinn, respektive drauf ist. Und nein, ich will mich nicht über die französische Sprache lustig machen. Ich bin sicher, es gibt ganz viele Sachen im (Schweizer)Deutschen, die gar keinen Sinn machen, wenn man sie sich einmal überlegt. Zum Beispiel (aber ich weiss nicht, ob das jetzt eine germanophone Besonderheit ist, ich glaube im Englischen z.B. Ist es dasselbe Prinzip) sind Warnschilder immer wieder eine Quelle der Verwunderung. Ihr kennt sicher die Schilder an Bahnhöfen oder in der Nähe von Strommasten, auf denen steht „Leitungen nicht berühren! Lebensgefahr!“ Öhm, wie jetzt? Man muss aufpassen, die Leitungen nicht zu berühren, weil man sonst Gefahr läuft, lebendig zu werden? Das ist ja schon noch verständlich. Das Leben ist gefährlich. Bekanntlich hat es noch niemand überlebt. Nehmt euch auch – gerade wenn die Schule anfängt – vor den netten Plakaten „Achtung: Kinder!“ in Acht!
Ich werde jetzt ‹ein wenig› ausholen (nicht, dass das jetzt etwas wahnsinnig Neues wäre). Holt das Popcorn aus der Mikrowelle, lehnt euch zurück und lasst euch überraschen…
Erinnert sich hier noch jemand an Monkey Island?
(NEEEEINN!) Ich schätze mal, da ich den Grossteil von euch über Jahre hinweg damit genervt habe, ist die Möglichkeit durchaus gegeben. Hiermit entschuldige ich mich jetzt mal offiziell dafür. Ich kann mir vorstellen (tu es aber lieber nicht, weil ich mich sonst schäme), wie unglaublich mühsam das gewesen sein muss. Meine fanatischen Konvertierungsversuche nahmen glaube ich ein Ausmass an, das nicht mehr moralisch vertretbar ist. Also die Welt kann froh sein, dass ich keiner Religion angehöre. Wenn ich nicht so selbstkritisch wäre, gäbe ich bestimmt einen extrem guten Faschisten oder Sektenführer ab!
Das Kopftuch und sonstige ‹piratige› Accessoires habe ich dann glaube ich seit dem 4. Gymi endgültig im Schrank verstaut, aber ich erinnere mich noch daran, wie wir im Bildnerischen Gestalten ein Schmuckstück herstellen mussten und ich ein Tentakel aus Schaumgummi und Wachs produziert habe. Dafür habe ich damals sogar eine ziemlich gute Note kassiert, da Herr Giraffer „so etwas hässliches zu machen, aus so grusigen Materialien, das ist schon irgendwie faszinierend!“ es offensichtlich als Kunst missverstand. Bis heute zieren mein Service-Portemonnaie neben Patent Ochsner und den Beatles eine Szene aus Monkey Island und ein grössenwahnsinniges Tentakel. Aber das ist ja nur die Spitze des Eisberges!
In den Zeiten, in denen man noch nicht gleichzeitig telefonieren und im Internet surfen (was sauteuer war) konnte, entdeckte ich erstmal die faszinierende Welt des World Wide Web. Begeistert war ich vor allem von all den Informationen, nach denen eigentlich nie jemand gefragt hatte. Natürlich kam es, wie es kommen musste und irgendwann hatte ich die verhängnisvolle Idee mal nach „Monkey Island“ zu suchen (damals noch mit yahoo!). Ich weiss nicht genau, womit man das vergleichen könnte, damit das Ganze auch von einem ’normalen› Menschen nachvollzogen werden kann. Vielleicht könnte man sagen, Monkey Island symbolisierte für mich, was für ’normale› Teenager BigBrother, die Backstreetboys, GC oder Leonardo DiCaprio während der Pubertät bedeuteten. Zumindest war ich absolut verrückt danach und hätte mir bei einem Konzert die Seele aus dem Leib geschrien.
Das Faszinierende am Internet war jetzt aber, dass ich offensichtlich nicht die Einzige war, der eine – oder auch mehrere – Tassen im Schrank fehlten. Nein, da gab es ganze Homepages, sogar einen Chat und ein Forum, welche(r) sich mit Adventures wie Monkey Island beschäftigten. Kurz: eine ganze Community, die scheinbar genau so irre war, wie ich. Ich war hin- und weg, währenddessen die Tastatur unseres Computers deutlich unter dem ganzen Gesabber litt. Nervtötend und fanatisch begeistert, wie es wohl nur pubertäre Teenager sein können, musste ich natürlich zu allem meine Meinung oder meinen Kommentar hinzufügen, wobei es bei mir immer auf das Gleiche hinauslief: „Monkey Island ist das beste Spiel auf der Welt!!!“ (ich erspare euch jetzt die anderen gefühlten 180 Ausrufezeichen) „Wer etwas anderes sagt, ist dumm!“, „Ich weiss zwar nicht, was ich schreiben soll, aber dann schreibe ich halt das!“ Wie irgendwer meine Ausbrüche ertragen konnte – und selbst wenn sie nur ’schriftlich› waren – ist mir bis heute ein Rätsel. (Und ja – man kann sich fragen, ob sich an diesen merkwürdigen Angewohnheiten meiner Person seither irgendetwas geändert hat. Auf die Antwort bin ich jetzt nicht so besonders scharf, da ich sie mir bereits denken kann.)
Ob es daran lag, dass die Community nicht allzugross war (man stelle sich ein Dorf vor, wo so ziemlich jeder jeden kennt) oder dass ich nach zwei Monaten bereits mehr Stunden im Chat und Forum verbracht hatte, als zwei Drittel der anderen Benutzer zusammen – irgendwann gab es Leute, die sogar nerviger waren als ich, so dass ich erst zum ‹Super User› und später sogar zum ‹VIP› aufstieg. Und ja, denkt euch bitte das belustigte Zwinkern dazu.
Bisher habe ich es auch in Bewerbungsgesprächen, auf die Frage nach meinen Führungsqualitäten, vermieden, auf meine herausragende Stellung im Internet hinzuweisen. Meine Aufgabe war zwar „für Ruhe und Ordnung in einer Gemeinschaft“ zu sorgen, aber wenn man das Wörtchen „virtuell“ voranstellt, kommt es wahrscheinlich nicht so gut an (bei den Görlls). Das klingt dann eher nach dem introvertiertem Teenager mit psychischen Störungen, der 302 Stunden, 12 Minuten und 47 Sekunden in einem Chat verbracht und die diensthabenden Administratoren mit Schokolade bestochen hat [wobei derjenige, von dem hier noch die Rede sein wird, mich mehrfach darauf hingewiesen hat, dass er nie Schokolade von mir bekommen hat und sowieso unbestechlich war. Da es ihm so wichtig scheint, war ich mal so nett das noch hinzuzufügen, obwohl es den Lesefluss empfindlich stört], als nach würdiger und verlässlicher Respektsperson. Wenn ich dann noch anfüge, dass ich meinen ersten Kuss (mit einem Jungen, der das äusserst verführerische Pseudonym „Affenhirn“ sein eigen nannte) Monkey Island verdanke, warten die Männer mit den lustigen Jacken vermutlich schon vor der Tür auf mich.
Heutzutage würde man das vielleicht Nerd nennen – oder Facebooksüchtig oder sowas. Ich war halt ein wenig frühreif. Vielleicht auch daher meine Reserviertheit gegenüber Facebook. Ich hatte meinen Anteil an Networking im Internet. Und ich hatte mehr als genug davon. Die sozialen Dramen, die sich da abgespielt haben waren mein Ersatz für Gute Zeiten, Schlechte Zeiten und Konsorten. Und ja, ich mache wahrscheinlich schon irgendwann wieder ein Profil bei Facebook, vielleicht sogar in ein paar Tagen, vielleicht auch nicht, immer mit der Ruhe. Ihr habt ja meine E-MailAdresse, meine (jetzt richtige) Telefonnummer und meine Postanschrift, also ich glaube, ich bin auch ohne Facebook nicht wirklich so ‹unerreichbar› und von der Welt abgeschnitten, wie manche das Gefühl zu haben scheinen.
Also in dieser dorfähnlichen Community (wir hatten sogar eine Galerie; mein vierjähriges Ich wird wohl bis Ende aller Tage als Spiegelei verkleidet durchs Netz geistern) kannte wie gesagt jeder, der irgendwie mehr als zweimal da war, jeden. Manche kannten sich auch persönlich untereinander, was auf mich nicht zutraf (es war eine fast vollständig deutsche Community, wobei die meisten auch ein wenig älter und männlicher als ich waren). Trotzdem, Adressen hatte ich auch mit einigen ausgetauscht und Briefe schreibe ich ja bis heute ganz gerne.
Mit Thomas (einem Administrator) wollte ich mich sogar einmal treffen (der Zusammenhang entfällt mir im Nachhinein, da ich ihn glaube ich die meiste Zeit über ein ziemliches Arschloch fand, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte), aber ich sagte ihm dann, als er schon auf dem Weg war, wieder ab. Ich weiss nicht, ob Christoph sich noch daran erinnert, er fand das damals gar nicht lustig – und mich hat es dann wohl auch nicht genug gestört, um das Ganze durchzustieren. Dann gabs zum Beispiel auch noch monkey der in Frankreich sein Abi gemacht hatte (mit Note 1,2 wenn ich mich recht erinnere), mit dem ich mich recht häufig ‹unterhielt›. Ich erinnere mich auch noch an jane, deren Mutter mir mal einen Pulli gestrickt hat (das war der farbige, falls ihr euch daran noch erinnert…) Naja, und noch viele andere.
Gut, du bist offenbar ein Nerd. Warum erzählst Du mir jetzt den ganzen Müll?
Aha, danke, dass Du fragst. Jetzt wäre ich schon beinahe wieder abgeschweift (mal wieder…!).
So. „The Escape from Monkey Island“, der vierte und bislang letzte Teil der Serie erschien im Jahr 2000. Danach gab es lange nichts, so lange, dass eigentlich niemand mehr an eine Fortsetzung glaubte. Irgendwann hat man selbst als eingefleischter Fanatiker nicht mehr gross etwas zu berichten, was gesagt werden kann, wurde schon hundertfach gesagt, die Sache läuft sich tot, man hat zu tun, richtige Freunde, vergisst…
Bis mir vor ein paar Wochen Angie – eine, die jeden Freitagnachmittag während einiger Jahre meine Eskapaden über Piraten, Affen und Pixel über sich ergehen lassen musste – erzählte, dass sie in der Zeitung gelesen hätte, dass es nicht nur ein Remake von „The Secret of Monkey Island“ (dem ersten Teil), sondern auch eine Fortsetzung als Serien-Adventure gäbe. Da habe ich mir dann – purem Instinkt folgend – die Seite von Thomas angesehen und mich von der Tatsache überzeugt. Von Nostalgie übermannt (das Design sieht immer noch genau gleich aus wie vor 6 Jahren!) konnte ich mir einen Gästebucheintrag nicht verkneifen. Tja – und so führte eins zum anderen. Eigentlich ist es eine Reihe von merkwürdigen Zufällen.
Zufälligerweise wurde ich wieder auf das Spiel aufmerksam. Dann hinterliess ich eine sentimentale Nachricht im Stile von ’schön, dass es euch noch gibt›, worauf ein ähnlich gepolter Kommentar folgte (von dem ich später erfahren sollte, dass er nicht persönlich an mich gerichtet gewesen war, sondern so ziemlich an jeden gegangen wäre). Aus einem Gefühl sentimentaler Wehmut heraus beschloss ich dann, meine ätzend lange Massenmail an die zwei Adressen, die ich gerade auftreiben konnte (Thomas und monkey) zu senden, einfach so, um mal zu sehen, was passiert. Lustigerweise antworten mir gleich beide.
Die überraschende Erkenntnis folgte dann postwendend in monkey’s Mail. [Hier folgt nun der Grund dieses ganzen Exkurses über Monkey Island und Co, falls ihr euch schon gefragt habt, wieso ich dieses ausführliche Seelenstriptease abziehe und das Ganze nicht schön brav für mich behalte, wie sich das für peinliche pubertäre Angewohnheiten gehört.] monkey: „Jedenfalls bist du in Bordeaux! Wow! Diese Stadt, in der ich einen Grossteil meines Lebens verbracht habe!“ Vielleicht findet ihr das jetzt nicht so wahnsinnig berauschend. Aber mir blieb echt der Mund offen stehen, als ich das las. Hatte ich mir doch schon die Nächte um die Ohren gehauen und mich gefragt, weshalb ich immer nach Bordeaux wollte. Und wirklich erklären konnte ich es ja nie. Meine Referenzen auf mein Bauchgefühl oder „einfach so“ überzeugten weder mich noch euch. Hui, also ich bin immer noch völlig überrascht vom Lauf der Dinge! Die Erklärung passt aber irgendwie zu gut. Ich wusste schon noch, dass er immer sehr begeistert von Frankreich erzählt hatte, aber dass es Bordeaux war hätte ich jetzt nie vermutet. Nie im Leben. Ich kann es eigentlich immer noch nicht so richtig glauben, aber ich denke, dass es sich irgendwie so abgespielt hat, dass mein Unterbewusstsein diese Informationen über Bordeaux gespeichert und in Form eins undefinierbaren Wunsches, dort meinen Erasmus-Aufenhalt zu verbringen, ausgespuckt hat. Das ist natürlich wissenschaftlich nicht geprüft und eigens auf meiner Interpretation basierend.
Die Psychologiestudentinnen unter euch können mir ja dann immer noch erklären, dass das Ganze nicht so einfach ist, wie ich es mir jetzt gerade vorstelle. Ich finde das ganze zwar vollkommen irreal und absolut unglaublich, aber irgendwie auch sehr amüsant. Da hocke ich als vier- oder fünfjähriger Knirps mit meinen Geschwistern vor dem PC [„The Secret of Monkey Island“ war damals übrigens ein Geschenk von Götti Christian, welches eigentlich an meinen Vater adressiert war, um ihm die Arbeit am Computer schmackhaft zu machen. Wir Kinder waren von diesem tollen neuen Spiel(zeug) in dem Masse begeistert in dem es von unserem Vater ignoriert wurde, der bis heute einen Sicherheitsabstand von mindestens zwei Metern zu jedem Computer einhält.] und balge mich mit ihnen wie wild um die Maus und lande deswegen fast zwanzig Jahre später in Bordeaux. Wenn das nicht verrückt ist…!
Aber es kommt fast noch besser. Falls ihr euch noch erinnert, ich schrieb in der ersten Mail: «Wegen Streiks fängt das Semester nämlich erst im Oktober an, also dümple ich hier noch ziemlich lange ohne rum ohne wirklich etwas zu tun zu haben. Auch lustig. Das heisst, falls ihr Lust und Zeit habt ne Runde nach Bordeaux zu fahren, ihr seid herzlich willkommen.“ Nicht nur Angie und Beat nahmen mich beim Wort, sondern auch Thomas, der fand, er habe im September eine Woche Zeit und komme mich besuchen. Auch hier spielt der Zufall wieder mal eine grosse Rolle, da die vorangegangene Aufforderung ja eigentlich gar nicht für ihn bestimmt gewesen war. Daraus habe ich dann die Lehre gezogen, dass man Mails nochmal durchliest, bevor man sie weiterleitet…
Zwischen Thomas› spontanen Entscheidung und seiner Ankunft gingen dann doch noch ein gutes Dutzend Mails (und ein etwas missglückter Telefonanruf – über meine Unfähigkeit, ein Telefon zu benutzen seid ihr ja bestens informiert…) hin- und her. Am Schluss war dann seine Neugier doch grösser, als die Befürchtungen, die bei ihm meine zweite Massenmail mit Unterteilung in verschiedene Kapitel ausgelöst hatten, ausserdem war der Flug (30 Euro ab Basel! UNGLAUBLICH! Ich habe über 200 Franken für den Zug bezahlt!) sowieso schon gebucht, also gab es kein Zurück. Da Thomas seinerseits kurz vor seiner Ankunft in einem Mail die Hoffnung geäussert hatte, dass ich weder „lol“ noch „rofl“ laut ausspreche, hatte auch ich meine Bedenken, worauf oder besser auf wen ich mich da eingelassen hatte.
Damit wir wenigstens auf irgendwelche dämlichen Erkennungszeichen verzichten konnten, habe ich mein altes Piratendress wieder ausgepackt. Naja, den Hut musste ich erst noch kaufen und schwarz anmalen und wenn ich schon dabei war, besorgte ich mir auch noch gleich ein Plastikschwert. Es gab auch einen Haken dazu, aber irgendwo wird das Ganze dann doch ein wenig lächerlich. A propos lächerlich: Da ich ja eigentlich nie mit Hut rumlaufe und daher nicht daran gewöhnt bin, dass mein Kopf derartig vergrössert ist, habe ich ihn (WIEDER EINMAL!) am Bus angeschlagen. Das löste natürlich bei den Leuten an der Bushaltestelle eine gewisse Erheiterung aus – wobei mein eher unkonventionelles Outfit ohnehin schon für genug Aufmerksamkeit sorgte. Aber zumindest haben wir uns tatsächlich sofort erkannt – hey, das ist immerhin etwas!
Ich war irgendwo schon überrascht, dass er tatsächlich auftauchte. Da ich ihn (na gut, es ist bereits mehrere Jahre her, aber trotzdem) versetzt hatte, hätte ich mir auch gut vorstellen können, dass ich am Flughafen warte, bis ich schwarz werde. Hätte ich zumindest umgekehrt vermutlich so gemacht. Ich hatte mich zwar damals entschuldigt, aber wenn ich mir den Brief ansehe, den ich ihm damals geschrieben habe, frage ich mich, woher ER eigentlich das Arschloch-Image hatte. Der Anfang meines Entschuldigungsbriefes auf astreinem, violetten Diddl-Papier (nach der Begrüssung: Hi Thomas!) lautete nämlich: „Tschuldigung. 1. wegen dem hässlichen Papier hier (das Gute war mir zu schade)…“ Da muss ich schon ziemlich schmunzeln. Ich glaube, sowas schaffe einfach nur ich. Ich wünschte, ich könnte jetzt sagen, dass ich heute ein anderer Mensch bin. Aber nein, das wäre schlicht und einfach gelogen. Auch der Rest des Briefes – ich erkenne mich wieder und habe das Gefühl, kaum einen Tag älter zu sein – ist voll mit idiotischen Informationen über Monkey Island Komplettlösungen, die Länge des Briefes, den Wunsch nicht auf einer 3 in Mathe sitzenzubleiben (das waren noch Zeiten! Am Schluss habe ich ja sogar um die 2,5 gekämpft!) und der Frage, ob ich jetzt noch ein Crèpe essen soll, obwohl mir sowieso schon schlecht ist.
Ich weiss nicht, ob ich jetzt einfach einen extremen Flashback wegen der ganzen Geschichte habe, oder ob ich tatsächlich immer noch genauso idiotisch bin, wie damals. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Auf jeden Fall haben wir uns erstaunlich gut verstanden, obwohl ich glaube ich, wider Erwarten, das grössere Arschloch-Potential habe. Sehr sympathisch fand ich es ausserdem, dass ich, da Thomas in der Nähe der Grenze wohnt, nichtmal Hochdeutsch sprechen musste (als ich es einmal versuchte, bat er mich beinahe auf Knien, wieder damit aufzuhören). Wir sind zwar auf eine Art sehr verschieden, aber trotzdem haben wir eine relativ ähnliche Ausdrucksweise – und das Achtung: Ironie!-Schild, dass ich ihm als Begrüssungsgeschenk in die Hand gedrückt habe, hatten wir dann doch nicht nötig (abgesehen von einem Missverständnis betreffend getrockneter Bananen). Am ersten Abend sind wir zusammen eine Pizza essen gegangen, weil ich den ganzen Tag vor lauter mich verkleiden und nervös sein nichts gegessen hatte (was ja mal was heissen will!). Besonders toll ist die Glasflasche (vermutlich ehemals eine Art Blumenvase), die mir das Restaurant auf meine Nachfrage freundlicherweise überlassen hat. Ich weiss nicht, ob sie Angst hatten, dass ich sie mit meinem Plastikschwert aufschlitze, wenn sie mir den Wunsch verweigern, oder sie hofften, mich dadurch ein für alle Mal loszuwerden, auf jeden Fall habe ich jetzt eine schöne ‹caraffe› zu Hause. Sehr stilvoll. Passt gut zu meinem Holzsteuerrad, dass ich mit Beat erstanden habe.
Sowieso habe ich mein Heim jetzt ein wenig dekoriert, wobei mir Thomas ebenso behilflich war. An meinen Wänden hängen jetzt Werbeplakate einer Bäckerei. Der Titel lautet „Tout le monde est Cookie“ und es hat eine Weltkarte mit Cookies drauf! So geil!:) Das MUSSTE ich natürlich haben! Ich hatte mir bereits überlegt, ob ich es wohl stehlen könnte, weil mir die Verkäuferin das Plakat partout nicht überlassen wollte. Aber zum Glück gehört die Bäckerei einer Kette an und ich habe es an einer anderen Verkaufsstelle versucht und dann sogar drei! Plakate bekommen!
Thomas hatte ein Navigationsgerät (das ich immer noch mit mehr Ehrfurcht als Vertrauen betrachte) dabei, was uns mehrfach den Weg von und zu meiner Wohnung erleichtert hat. Jetzt bin ich wieder auf meine Karte und die lustigen Hinweise von Passanten angewiesen (ihr glaubt gar nicht, wie lange ich gebraucht habe, um zu verstehen, was mit ‹feu rouge› gemeint ist…). Grossartige Pläne hatten wir eigentlich nicht, einer war ins Schwimmbad, der zweite Eis essen zu gehen. Und nicht mal das haben wir wirklich geschafft, woran ich nicht ganz unschuldig bin. Meistens begannen die Tage zwischen elf und ein Uhr, wenn ich mich endlich zum Aufstehen zwingen konnte. Dann gab es erstmal lecker Frühstück mit jede Menge Käse, Nüssen und Trauben. Im Gedenken an monkey haben wir auch regelmässig Tee getrunken – und einmal sogar das Remake von „The Secret of Monkey Island“ gespielt. Zum Glück gab’s da noch irgendwo eine Komplettlösung auf einer gewissen Internetseite, ansonsten sässen wir wahrscheinlich jetzt noch daran, was ziemlich traurig ist, da wir das Spiel ja eigentlich in- und auswendig kennen. Wir sind stundenlang durch Bordeaux getingelt mit Aufgaben wie: Glühbirnen kaufen (ja, mit mir kann das schon eine Weile dauern!) oder: Fluss anschauen, sowie monkey’s Haus mit dem Navi suchen und nicht finden. Einmal sind wir sogar zufälligerweise an dem netten Herrn von meiner Bank in seinem Freizeitdress vorbeigegangen. Das war schon ganz lustig, obwohl wir eigentlich nichts gemacht haben, hatten wir unseren Spass.
Eines schönen Abends beschloss ich, aus welchen Gründen auch immer, eine Flasche Tequila zu trinken. Nunja, ich habe nicht die ganze getrunken. Aber sicher drei Viertel. Ein Glas hätte ja vermutlich schon ausgereicht, um mich in eine Alkoholleiche zu verwandeln. Jérémy war auch zwischenzeitlich da, ging aber zum Glück, bevor es ganz schlimm wurde. Ich trinke ja nicht häufig, und ich würde sagen, ich habe inklusive an jenem Abend, nur zweimal wirklich ZU viel getrunken. Das endete auch dieses Mal damit, dass ich ohne Kleider in einer Dusche landete, nachdem ich zuvor das Badezimmer mit den Überresten meines Abendessens dekoriert hatte.
Zumindest war es dieses Mal bei mir zu Hause, also mache ich auch in dieser Hinsicht Fortschritte. Minuspunkte gab es allerdings dafür, dass ich mir die Nase bei genauerer Betrachtung der Kloschüssel aufschlug und beim Ausrutschen nach der Dusche die Aufhängestange für die Badetücher heruntergerissen habe. Wobei ich es Thomas hoch anrechne, dass er (ausgerüstet mit einer, wie mir scheint, professionellen Kamera) keine Bilder davon machte, wie ich splitterfasernackt mein Bad putzte, darauf bestehend „es verdient“ zu haben. (Aber sonst gibt es ein paar ganz goldige Bilder. Besonders gut gefällt mir ein Schnappschuss vom ‹Morgen danach›, der geradezu danach schreit, als A3 Poster bei mir im Zimmer zu hängen.)
Allerdings habe ich dank ihm mein Repertoire an Sprüchen, die ich nicht hören will (vor allem nicht von einem Mann!) erweitert.
Zu:
„Du bisch nöd dick. Du bisch … rund.“
„Mir händ jetzt so grob gschetzt, also nu ungefähr, vier Wuche, zwei Täg, drüevierzg Minute und acht Sekunde kei Sex meh gha.“
„Don’t be sorry. At least we didn’t have sex!“
„Ich dachte über Dich: Sie ist nett, aber fett!“
„Du häsch ja en Schnauz!“
„Kondom? Nöö, ich ziehnen dänk amig vorher use. Das isch im Fall ä mega sicheri Verhüetigsmethode!“
„I jerked off thinking of you the last couple of days.“
kommt neu (nachdem er mein Piratenkleid anprobiert hatte und feststellte, dass er hineinpasste): „Wow, da passt DU rein? Ich habe mich Dich viel breiter vorgestellt.“
Danach folgte eine, für ihn vermutlich nervtötende und für mich essentielle Diskussion über das Wort ‹breiter›, wobei ich es als Beleidigung auffasste, währenddessen er darauf bestand, dass ich ja nur breiter aussähe, als ich sei, also sei das schon fast ein Kompliment, da ich weniger breit sei, als ich aussehe. Wirklich dankbar bin ich auch für den unvergesslichen, mich nach wie vor erheiternden Ausspruch: „Ich glaube deine Nippel haben so eine komische Farbe. Kann ich mal sehen?“ Und bevor ihr fragt: Nein, da ist nichts gelaufen. Auch wenn der Thomas ausgesprochen schöne, feminine Füsse hat.
Nach einer Woche hatten wir dann aber doch ein wenig genug voneinander. Eine Ein-ZimmerWohnung und 24-Stunden-Assistance ist weder sein, noch mein Ding. So war es wohl kein Zufall, dass auf meinem MP3-Player auf der Rückreise vom Flughafen Ton Steine Scherben „Hau ab!“ in Endlosschlaufe lief (wobei es hier nur um den Titel und nicht um den eigentlichen Inhalt geht). Ein paar Tage später vermisse ich aber schon wieder einen männlichen Begleiter an meiner Seite, den ganzen ‹Mademoiselle›-Kram hatte ich dank ihm schon vergessen gehabt. Wie ich in Zukunft meine Glühbirnen wechseln, die Batterien ohne Hilfe aufladen, meine Dusche reparieren oder wer mir den ganzen Mist auf meinem Laptop, den ich nicht verstehe, erklären soll, ist mir schleierhaft. Kurzum: Würde das nochmal machen! Und selbst wenn es nur darum ginge, noch einmal einen Schal um meinen Kopf zu binden und so zu tun, als wäre ich zwölf, maximal vierzehn Jahre alt. Arrrrgh!
Ich wollte mir ja mal noch eine Arbeit suchen. Eigentlich hat sie fast eher mich gefunden, als umgekehrt. Eines Tages bin ich so an einer australischen Bar vorbeispaziert. Da hing im Fenster ein Schild ‹Nous cherchons barmaid expériencée›. Das brachte mich dann ein wenig in Verlegenheit. Einerseits hatte ich eigentlich vor, in einem so richtig französischen Bistrot zu arbeiten – andererseits ‹Barmaid› – was für ein geiles Wort! Hinzu kommt, dass der Laden „Byron Bay“ heisst – und im ‹richtigen› Byron Bay habe ich ja vor ziemlich genau drei Jahren Job kennengelernt [den ich übrigens vor Kurzem in Mimizan (in der Nähe von Bordeaux) getroffen habe, über den öffentlichen Verkehr in Frankreich lasse ich mich jetzt aber mal nicht aus… nur so viel: es war extrem mühsam!], was so ziemlich das Beste (in Australien) war, das mir passieren konnte. Man könnte es also durchaus als Wink des Schicksals betrachten, was ich auch gemacht habe.
‹Barmaid expériencée› ähm, nicht, dass ich je wirklich hinter einer Bar gearbeitet hätte (obwohl ich es immer gerne lernen wollte). Aber ich habe sicher schon zweimal einen Caipirinha gemacht und mindestens einmal bei der Herstellung eines Hurricane zugesehen – ausserdem hatte ich was mit einem Barkeeper. Meine eigentümliche Schwäche für Männer, die beruflich mit Alkohol jonglieren ist ja bereits allgemein bekannt und immer mal wieder Ursache allgemeiner Erheiterung an einschlägigen Anlässen, righty right? Das macht doch sicher mindestens zwei-drei Jahre Berufserfahrung gut, oder? Nach kurzer Erwägung meiner Ressourcen bin ich jedenfalls hineinspaziert und habe den Typen hinter der Bar (der mir übrigens sehr sympathisch war und … Achtung!, jetzt kommts: Nico heisst…) gefragt, ob sie schon jemanden gefunden hätten. Hatten sie nicht und ich wurde aufgefordert meinen CV vorbeizubringen (den ich zuerst schreiben und dann noch irgendwo ausdrucken musste. Auch eine kleine Odyssee, die ich euch jetzt aber erspare.). Ich hatte dann eine Art Bewerbungsgespräch mit dem Chef und dem Typen hinter der Bar, wobei sie sich von meiner nichtvorhandenen Erfahrung an der Bar sowie den mangelnden Französischkenntnissen überzeugen konnten.
Trotzdem wurde ich zu einem Probetag eingeladen und als sie mich dann für den nächsten Freitag wiederum zum Arbeiten eintrugen (was ich dann als ‹Du hast den Job› interpretierte) konnte ich es natürlich nicht lassen, mich danach zu erkundigen, ob sie eigentlich auch noch andere Bewerbungen bekommen hätten. Die Frage kam dann glaube ich nicht so gut an und mir wurde ein ganzer Stapel Blätter unter die Nase gehalten. Worauf ich vermutlich noch etwas dümmer aus der Wäsche schaute. Wenn man eine ganze Liste an Leuten hat, von denen man auswählen kann… Wieso sollte sich irgendwer, der noch bei Trost ist, ausgerechnet für mich entscheiden? An meiner Nullerfahrung hinter der Bar sowie an den nicht vorhandenen Sprachkenntnissen kann es ja kaum liegen… Beim Abfassen meines CVs hatte ich mit dem Gedanken gespielt, den quietschorangenen Arbeitgeber in meinem Lebenslauf, geflissentlich zu übergehen. Der einzige Grund, weshalb ich es dann doch mitreinpackte war eigentlich, dass ich annahm, der Laden sei hier unbekannt und zwei Jahre Berufserfahrung sich dann doch besser machte, als drei Monate. Falsch gedacht. Und zwar doppelt. Erstens war die amerikanische Kette mit den lustigen Eulen als Logo dem Chef ein Begriff und zweitens schien gerade die Tatsache, dass ich da gearbeitet hatte, ihn von meiner Person zu überzeugen. Ihr könnt euch meinen ungläubigen Gesichtsausdruck (den ich immer noch mit mir herumtrage) ungefähr vorstellen, aber: „Nous pensons, que tu as ce qu’il faut pour survivre ici!“
Die Hotpants-Geschichte werde ich wohl nie mehr los. (Und bevor ich jetzt wegen Rufmordes oder so etwas verklagt werde: Ihr wisst selbst am besten, dass ich den Schuppen nach einer gewissen Anlaufszeit abgöttisch geliebt habe und vermutlich bis ans Ende meiner Tage mit mehr oder weniger breitem Grinsen im Gesicht Curly Fries und Chicken Wings (wobei die im Outback immer noch besser sind!) servieren würde, wenn es die Umstände erlaubt hätten, respektive ich mir mal die komplizierte Choreographie von „Bunny Hop“ und Co hätte merken können…). Nebenbei bemerkt sieht es ganz so aus, als käme ich nie mehr aus den anglo-amerikanischen Betrieben heraus.
Bisher habe ich erst dreimal gearbeitet (ich habe eine Probezeit von zwei Monaten, erst danach wird entschieden, ob ich bleiben kann). Es ist ziemlich anspruchsvoll, da ich die Gäste (sowie meine neuen Teammitglieder) meistens nicht verstehe. Wenn ich Glück habe, muss ich nur zweimal nachfragen, was die Bestellung genau war. Einerseits hat das sicher mit der Sprache zu tun, darüber hinaus ist es auch akkustisch ein Problem (gewisse von euch haben ja schon früher Bedenken geäussert, dass ich halbwegs taub sei.), da es sehr laut ist, was dem gegenseitigen Verständnis auch nicht gerade entgegenkommt. Das sind noch andere Zustände hier als ich sie mir gewöhnt war…
Hinzu kommt, dass mir viele Dinge völlig unbekannt sind. Dass ich – wie bereits erwähnt – nicht gerade viel Erfahrung mit Alkohol habe (weder mit Trinken noch mit Zubereiten und Servieren), macht die Aufgabe auch nicht gerade einfacher. Besonders wenn man die französischen Trinkgewohnheiten studiert. Panaché respektive Henache kriege ich gerade noch hin, aber das war dann auch schon das Exotischste, was in Zürich an Bier je über die Theke geht. Hier hingegen schütte ich in jedes zweite Bier Sirup (Erdbeere, Grenadine und Pfirsich sind am beliebtesten) und wenn es ganz schlimm kommt auch noch Cola oder Limonade. Da bestellt jemand einen ‹Diavolo Fraise› und weil ich nicht die geringste Ahnung habe, was das ist und einen teuflisch komplizierten Cocktail vermute, bitte ich meine Arbeitskollegin (die übrigens mit der amtierenden Miss Bordeaux liiert ist), mir mal eben zu zeigen, wie man das macht. Es stellt sich heraus, dass ‹Diavolo Fraise› Erdbeersirup mit Limonade ist. Kein Wunder, dass die Leute denken, ich wäre nicht besonders helle, wenn ich sogar für die Herstellung von sowas Hilfe brauche.
Mich selbst in den Schutz nehmend sage ich mir auch, dass ich erstmal den Kulturschock überwinden und mich an französische Verhältnisse gewöhnen muss. (Ego streicheln kommt immer mal wieder gut. Man könnte es auch billige Ausrede nennen, aber lassen wir das.) Zum Beispiel werfen wir hier die Zitronenstücke mit den Händen in die Getränke. Nicht, dass ich das vorher noch nie gemacht hätte, zum Beispiel wenn die Zange nicht zu finden war oder gerade niemand hingeschaut hat und es halt ein bisschen schnell gehen musste. Aber hier gibt es nichtmal eine Zange. Was mich irgendwo sehr belustigt, da man nicht einmal so tut, als würde man irgendwelche Hygienevorschriften einhalten. Vielleicht gibt es auch keine, oder es liegt daran, dass der Grossteil unserer Kundschaft aus Studenten besteht, die das wohl nicht interessiert. (Andererseits würde ich jetzt meine vorangehenden Arbeitsorte in der Schweiz auch nicht gerade in die ‹haute cuisine› einreihen… Wenn auch nicht gerade sehr billig, was den Preis betrifft.)
Wir haben auch riesige Glasbehälter, bei denen ich den Verdacht hege, dass das ursprünglich Schüsseln waren, damit das Personal seine Hände während der Arbeitszeit waschen konnte, bis jemand auf die durchaus lukrative Idee gekommen ist, das Ganze als Punsch zu verkaufen. Geschnitten habe ich mich selbstverständlich auch schon (dafür noch kein einziges Glas kaputt gemacht). Verbandszeug ist auch nirgends zu finden (und wenn würde es sicher nach zwei Minuten in der Punschschüssel schwimmen). [Na gut, da gibts ja auch in der Schweiz Restaurants (habe ich mal irgendwo gehört *hust*), die in der Notapotheke nichts ausser Lutschtabletten und Fotokleber stehen haben. Ja, wir haben’s erfunden und darauf können wir Schweizer auch sehr stolz sein, aber manchmal wäre ein Aspirin dann doch besser als Ricola-Kräuterzucker und im Gegensatz zu TesaPowerstrips sind Pflaster dazu gemacht, auf Wunden geklebt zu werden und halten daher vermutlich auch besser.] Den Lohn hier kannst Du eigentlich auch vergessen, ich glaube, ich verdiene so umgerechnet 12 Franken die Stunde und Trinkgeld gibts gar keines. Trotzdem – ich liebe den Job! Ich verstehe nichtmal die Hälfte, schütte Vodka statt Rum in den CubaLibre und kassiere sechs statt fünf Euro dafür ein.
Die haben hier alle einen an der Waffel, was ja jetzt auch nicht gerade etwas Neues ist. Darum fühle ich mich vermutlich auch so wohl in dem Business – es ist voll mit Verrückten. Amerikanische Mooters Girls, die ihre Lebensweisheiten („The smile is a part of your uniform!!!“), darunter auch das Geheimnis, wieviele Handbreiten unter dem Knie die siebeneinhalbmal gefalteten Socken aufhören müssen, weitergeben. Gefährliche, muslimische Terroristen, die ihren ‹fucking espresso› bei der nächstbesten ‹Blondineeeee› bestellen, nachdem sie festgestellt haben, dass im Poulet-Cordon-Bleu (was bis zu jenem Tag ihre Hauptmahlzeit darstellte) tatsächlich Schinken (von Schwein!?!!) enthalten ist. Der General Manager, der aus abgelaufenen Müllerbräuflaschen leckere Stangen zaubert oder eine Bieraktion startet und erst zu spät bemerkt, dass der neue Preis deutlich höher ist, als derjenige in der Karte. Der Chef, welcher eigentlich kubanischer Tierarzt ist, und dem, nachdem er einen Hamburger, der seit zwölf Monaten irgendwo in den Untiefen der Gefriertruhe vor sich hingammelte, aus dem Kältefach fischt, nichts besseres einfällt, als mit dem vorhandenen Personal ein Geburtstagsständchen anzustimmen. Habe ich bereits erwähnt, dass er – im Gegensatz zu mir – der Chef ist? Ein Punkt, auf dem er immer wieder bestanden hat aus Gründen, die sich bis heute meiner Kenntnis entziehen. Die Chinesin, die nach über dreissig Jahren auf dem Erdenrund schockiert ausruft: „Schau meine Hände! ICH BIN GELB!“ Der cholerische Eisbär, der damit droht, einem mit verbrannten Buschbrötchen ein grausames Ende zu bereiten, wenn man ihn um ein Schoggifondue (Es heisst Fondant! FonDANT! Du solltest jetzt gehen und qualvoll sterben!) bittet. Der bananophobe Oberkellner (liebevoll Kackfresse genannt), der gerne vom Personaltisch aufsteht, um ganz professionell auf die nicht so ganz ernstgemeinten Telefonanrufe seiner Teammitglieder zu reagieren… Those were the days…Hachja… Good Times. Gebt mir mehr davon! Bin jedenfalls gespannt darauf, was für lustige Charaktere sich hier herumtreiben und welche denkwürdigen Geschichten sich hier im ewigwährenden, epischen Kampf zwischen Personal und Kundschaft noch abspielen werden.
Ob ich das hier durchstehe, ist zwar noch fraglich. Ein Problem ist, dass ich nicht gerade die Schnellste bin. Ich stelle mir ja gerne vor, dass das daran liegt, dass ich alles sehr gründlich machen will. Halt ‹richtig›. Ist aber ziemlich schwierig, weil ich ja nicht weiss, was ich eigentlich machen soll, respektive wie. Also die meiste Zeit ist es ein reines Desaster. Sie haben mir auch gesagt, ich müsse viel schneller, lustiger, besser, genauer und noch jede Menge andere Adjektive, die ich aber nicht verstanden habe, werden. Fast noch wichtiger: „iiuu ‹ääf tuu bii crääiziii“ (Mensch, wenn die wüssten, dass ich ein eidgenössisch diplomierter Freak bin… aber übersetzt mal den ganzen Müll, den ich gerade euch erzählt habe auf Französisch!) „Mais nous esperons que ca va arriver!“ Na bei so wenig Erwartungsdruck auch gar kein Problem… Mal schauen wie sich das entwickelt. Interessanterweise bin ich nicht SO gestresst, wie ich es normalerweise wäre. (Trotzdem habe ich mir einen ‹Ausgiesser› und ein Shotglas zum Üben gekauft. Wie erbärmlich. Erstens bin ich verwirrt mit dem Zählen (einezwänzg, zweiezwänzg oder wie war das noch? Respektive un, deux, trois, quatre) und zweitens funktioniert mein Home-Equipment scheinbar ein wenig anders, als das in der Bar. Sollte das nicht alles gleich genormt sein?) Kurz: ich würde natürlich gerne alles perfekt machen (am besten sofort!) und sicher sein, dass ich den Job auch behalten kann. Aber irgendwie… Wenn’s klappt, klappts und wenn nicht, dann eben nicht. Dann kann ich mir wenigstens standesgemäss einen Tequila einschenken – und wenn es dann fünfeinhalb statt 4cl werden, hilft es mir wahrscheinlich dafür nur noch besser über den Verlust hinweg.
Sonst kann ich berichten, dass meine Wohnung (und Bordeaux) noch steht. Selbst die lustigen schwarzen Viecher sind mir schon länger nicht mehr über den Weg gelaufen. Die Heizung funktioniert zwar nur halbtags und irgendwie ist die Aufhängung für den Duschkopf abgefallen, aber sonst kann ich mich nicht beklagen. Mit dem Ofen mache ich auch Fortschritte, auch wenn die Cookies noch nicht meinen Qualitätsansprüchen genügen. Ist vermutlich auch nicht gerecht dieses mikrowellenähnliche Teil mit dem Hightechgerät von zu Hause zu vergleichen, mit dem man die Innentemperatur des Soufflés per E-Mail abrufen konnte. Aber immerhin war das Feuer im Ofen ein einmaliger Unfall und so erfreue ich mich an selbstgemachter(n) Pizza, Lasagne, Aufläufen und Keksen. Von wegen Couscous!
Huch – die Zeit geht so schnell vorbei! Morgen ist schon der 1. Oktober, da muss ich zum ersten Mal an die Uni um am ‹jour d’intégration› teilzunehmen. Ich freue mich eigentlich, aber irgendwie bin ich jetzt doch überrascht, dass es schon so bald ist. Da hätte es eigentlich noch dieses und jenes gegeben, das ich bevor der ganze Rummel losgeht noch erledigen wollte… Zum Beispiel ein paar Vokabeln büffeln. Aber während sich ’normale› Studenten mit den unregelmässigen Verben herumschlagen und sich den besten Kurs heraussuchen, besteht meine Vorbereitung auf den Studiumsbeginn eigentlich nur darin, mir einen ‹maillot brésilien› verpassen zu lassen.
Da ich mich ja schon im Heimatland der professionellen Enthaarung befinde, wollte ich das einmal ausprobieren. Fazit: Durchzogen. Es gibt auch hier eine Reihe von Dingen, die ich lieber nicht hören würde. Dazu gehört „Vos poils sont très, très dur! Ca va faire plus mal.“ gefolgt von der Feststellung: „Mais Mademoiselle… vous transpirez énormement!“ Mein Körper hat sich ja schon immer gerne und äusserst erfolgreich gegen das Bild, dass sich mein Kopf von ihm gemacht hat, gewehrt. Der ewige Kampf gegen meine Körperbehaarung (wobei meine eher derjenigen eines jugendlichen Braunbären als derjenigen eines geschlechtsreifen Homo Sapiens gleicht) scheint aussichtslos. Nennt mich pessimistisch, aber wenn die neue, nette Dame im IPL-Studio einen nach der Behandlung anlächelt und sagt: „Keine Sorge, in Zukunft wird es weniger schmerzen. Das erste Mal ist immer am schlimmsten!“, obwohl man schon zum siebten Mal da war, ist irgendetwas verkehrt. Dass auf meiner Patientenakte, die ich zufälligerweise zu Gesicht bekam, unter Bemerkungen notiert war: ‹Achtung: Schreit wie am Spiess!› macht die Sache auch nicht gerade besser.
Tja, zumindest hoffe ich, dass das alles gut geht mit der Uni. Irgendwie vermisse ich schon fast mein ruhiges, gemütliches Leben bisher. Ich weiss zwar noch nicht, wie sich das in Zukunft abspielen wird, aber ich habe gewisse Vorahnungen. Wird sicher auch spassig. Heute bin mal mit dem Tram an die Uni gefahren (wobei mir gleich drei sympathische junge Herren ins Auge fielen und ich mir sagte, dass meine Vorbereitungen dann doch nicht so ganz verkehrt hatten sein können) und habe im Historischen Seminar vorbeigeschaut.
Die Frau vom Sekretariat hat mir dann ein paar Dinge erklärt (so in ganz, ganz langsamen, ungeheuer klar und perfekt artikulierten Französisch, wofür ich echt dankbar war, obwohl ich mir gleichzeitig vorkam, wie ein Grundschüler mit dem IQ einer halbierten Melone) und mir ein Vorlesungsverzeichnis in die Hand gedrückt. Da ich Erasmus-Studentin bin, kann ich alle Kurse des ‹licence› besuchen, vom ersten bis ins dritte Jahr. Gut zu wissen. Wie das genau funktioniert hatten bislang weder ich, noch mein Erasmus-Koordinator in Zürich herausfinden können. Aus irgendeinem Grund folgte, als ich das Sekretariat wieder verlassen hatte, ein durchaus emotionaler Moment. Mit einer Menge Papier in der Hand den Flur des Historischen Seminars der Université Michel de Montaigne entlangschauend brauchte ich erstmal zwei Minuten, um mich wieder zu sammeln. Als wäre ich frisch verliebt und hätte am nächsten Tag ein Date mit dem Mann, den ich schon seit Monaten nicht mehr aus dem Kopf kriege. Worauf natürlich sofort die ebenso bescheuerte wie unvermeidliche Frage folgte: Was zieh ich nur an? Das fängt ja schon bei der Unterwäsche an, (wobei es übrigens noch kein Slip mit integriertem Strapsenhalter in meinen Kleiderschrank geschafft hat) und hört bei der Auswahl der Haarspange auf. Und wenn ich schon dabei bin, nagle ich mir doch gleich mein auf Hochglanz poliertes, allerliebstes Feindbild vorne an die Stirne.
Was ich übrigens noch anmerken wollte, bevor ich hier dann doch nochmal zum Abschluss komme: Scheinbar verwechseln gewisse unter euch das Fehlen jeglichen gesunden Menschenverstandes in Alltagssituationen mit wirklich speziellen und aussergewöhnlichen Erlebnissen und Erfahrungen. Mal ehrlich: Ich schreibe darüber, wie ich wohne, koche, auf der Strasse herumlaufe, im Internet surfe und meinen Intimbereich enthaare. Auch wenn das Ganze in Frankreich stattfindet sähe vermutlich Steven Spielberg darin kein Potential für einen Kassenschlager. (Wobei [Achtung: Schleichwerbung!] Trigon-Film dabei sowieso die Exklusivrechte zukämen.)
Falls sich meine Mails in dem Ausmass weiterentwickeln, wie bisher, rechne ich so ungefähr im nächsten Juli mit 60seitigen Berichten über mein französwisses Leben (ja, auf die Wortkreation bin ich besonders stolz. Auch wenn sie möglicherweise vorher schon existierte, habe ich sie – ganz ricolamässig – für mich nochmal neu erfunden). Aber es besteht durchaus die Hoffnung, dass selbst ich irgendwann doch noch ein Einsehen habe. Darauf bauen würde ich allerdings nicht.
Tja, wie ihr seht, geht es mir ausgezeichnet. Auch mal was Anderes. Aber durchaus lustig, könnte mich glatt daran gewöhnen.
Bisous und drückt mir die Daumen für morgen!,